Was ist die Ursache des Geschlechtskonflikts?
Um es vorwegzusagen: Wir wissen es nicht – zumindest nicht genau. Wissenschaft und moderne Psychologie haben bewiesen, dass es nicht durch Erziehung verursacht wird; niemand wird zum Transgender erzogen. Die Geschlechtsidentität ist angeboren und festigt sich, bevor wir den Mutterleib verlassen. Vererbte Gene können die wahrscheinlichkeit erhöhen, so haben Transgender-Eltern eine höhere Wahrscheinlichkeit, Transgender-Kinder zu bekommen. Falls ein Elternteil auch Transgender ist, hilft das die eigenen Gefühle einzuordnen und sie erkennen sich selbst. Das Kind kommt zu den Eltern, und das hilft den Eltern zu erkennen, dass sie es sich auch eingestehen können bzw. auch outen können.
Im Folgenden wird die Wissenschaft beschrieben, von der angenommen wird, dass sie die Geschlechtsidentität im Mutterleib beeinflusst. Dies bedeutet nicht, dass es die einzigen Faktoren sind, welche die Geschlechtsidentität definieren. Zusätzlich gibt es viele kulturelle oder soziale Aspekte. Nichts davon konnte bisher als alleiniger Marker bestimmt werden, der die Identität einer Person vorschreibt.
Folgendes wissen wir heute. Wenn Sie den Film „Jurassic Park“ gesehen haben, können Sie sich bestimmt an folgende Szene erinnern:
Bei menschlichen Föten entwickeln sich die Gonaden zunächst in einem bi-potenziellen Zustand. Sie können sich entweder zu Eierstöcken oder Hoden entwickeln. Das SRY-Gen, das auf dem Y-Chromosom sitzt, setzt ein Protein namens „Testis Determining Factor“ (TDF) frei. Dieses Protein startet dann eine Kettenreaktion mit Hilfe der SOX9-Produktion (ein anderes Protein), welches bewirkt, dass sich die Gonadenzellen zu den Sertoli und Leydig-Zellen bilden, aus denen die Hoden bestehen. Wenn TDF nicht produziert wird - oder die Produktion gestört wird - bilden sich die Gonadenzellen zu Theca-Zellen und Follikeln, aus denen die Eierstöcke bestehen.
Sobald sie gebildet sind, beginnt durch die Hoden ein Testosteronanstieg, der typischerweise in der 8. Schwangerschaftswoche beginnt und bis zur 24. Woche andauert. Dieser Anstieg ist in Kombination mit einem anderen Hormon aus der Plazenta für die Entwicklung von Penis und Hodensack verantwortlich. Die Genitalbildung beginnt um die 9. Woche und wird ab der 11. Woche erkennbar. Wenn der Testosteronanstieg nicht auftritt oder der Körper nicht darauf reagiert (wie im Fall des Androgen-Unempfindlichkeitssyndroms), bilden sich stattdessen die Genitalien in Vulva, Vagina und Gebärmutter.
Wenn es eine Störung in diesem Prozess gibt, können Sie die falschen Geschlechtsmerkmale entwickeln. Das Ergebnis sind oft intersexuelle Geschlechtsmerkmale. Oft ist dies eine Teilentwicklung, bei der sich die äußeren Genitalien nur teilweise bilden, aber dennoch funktionelle Gonaden existieren. Manchmal kommt das Kind mit voll funktionsfähigen männlichen oder weiblichen Genitalien heraus, aber nicht übereinstimmenden Gonaden. Manchmal setzt sich das TDF-Protein nicht frei und dem Fötus wächst trotz des Vorhandenseins eines Y-Chromosoms vollständig funktionsfähige weibliche Fortpflanzungsorgane.
Dies ist als Swyer-Syndrom bekannt, und eine unbekannte Zahl von Frauen leidet daran. Im Jahr 2015 brachte eine XY-Frau mit Swyer-Syndrom, die ohne Eierstöcke geboren wurde und per IVF (In-vitro-Fertilisation) schwanger wurde, erfolgreich ein Kind zur Welt. Normalerweise führt das Swyer-Syndrom zu unfunktionalen Eierstöcken, aber 2008 wurde eine Frau mit Swyer-Syndrom gefunden, die die Pubertät durchlaufen hatte, normal menstruiert hatte und zwei Schwangerschaften ohne künstliche Befruchtung hatte. Ihr Zustand blieb unentdeckt, bis das Swyer-Syndrom auch bei Ihrer Tochter festgestellt wurde.
Tatsache ist, dass die meisten Menschen noch nie auf den genetischen Karyotyp getestet wurden. Daher wissen wir nicht, wie häufig diese Fälle tatsächlich sind. An welcher Stelle wirkt sich dies auf die Geschlechtsidentität aus? Nun, genau derselbe Prozess, der auf die Differenzierung der äußeren Genitalien einwirkt, tritt auch im Gehirn auf.
Zweigeteiltes Gehirn
Das pränatale Gehirn beginnt sich erst in den Wochen 12 bis 24 wirklich zu entwickeln. In diesen Zeiträumen wächst die Großhirnrinde erheblich (die äußere Schicht des Gehirns). Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass dort der Großteil unseres Bewusstseins „angesiedelt“ ist. Ab Woche 12 bis 24 wächst also dieser Bereich erheblich. Zuvor war die vorhandene Struktur eher wie ein Gerüst: nur die grundlegenden Teile des Nervensystems, welche für die Körperfunktion notwendig sind, waren vorhanden. Die primären Sulci (die Falten in der Großhirnrinde, die mehr Oberfläche ermöglichen) beginnen sich in Woche 14 zu bilden, lange nachdem sich die Genitalien entwickelt haben.
Über MRT-Studien wurde mehrfach bestätigt, dass es kleine, aber signifikante Unterschiede zwischen Cis-männlichen und Cis-weiblichen Gehirnen gibt, die mit den Geschlechtsidentitäten von Trans-Personen laut der Studie übereinstimmen. Zur Beachtung: Das bedeutet nicht das jemand mit einer abweichenden Gehirnstruktur eine andere Geschlechtsidentität hat – zur Geschlechtsidentität gehört etwas mehr. Aber es liefert Beweise dafür, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen gibt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Gehirne Mosaik-artige Kombinationen oder Mischungen dieser Unterschiede aufweisen können, was nicht-binäre-Personen erklären könnte.
Eine Veränderung des Testosteronspiegels im Fötus nach der 11. Woche kann sich direkt auf die Maskulinisierung der Großhirnrinde sowie auf Veränderungen in anderen Teilen der Gehirnstruktur auswirken. Dies wurde in Studien an weiblichen Kindern mit CAH (angeborene Nebennierenhyperplasie) und CAIS (vollständiges Androgen-Insensitivitäts-Syndrom) immer wieder untersucht.
Wir fanden eine signifikante Beziehung zwischen fötalem Testosteron und sexuell differenziertem Spielverhalten bei Mädchen und Jungen.
— Fetal Testosterone Predicts Sexually Differentiated Childhood Behavior in Girls and in Boys
Ein Testosteronüberschuss im Körper der Mutter während des zweiten Trimesters führt zu einer Maskulinisierung des Gehirns bei einem ansonsten weiblichen Fötus, und eine Störung der Testosteronproduktion oder -aufnahme hat eine Feminisierung des Gehirns bei einem ansonsten männlichen Fötus zur Folge. Diese Störung muss auch nicht einen externen Ursprung haben. Eine beliebige Anzahl genetischer Merkmale kann dazu führen, dass das Gehirn unterschiedlich auf Testosteron reagiert.
Eine recht umfangreiche Studie mit Transgender-Personen von 2018 deckte mehrere Schlüssel-Gene auf, die statistisch gesehen, bei Transfemininen Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit ausgeprägter bzw. länger waren (länger im Sinne von mehr Wiederholungen). Vereinzelt haben diese Gene möglicherweise keine Wirkung, die stark genug ist, um eine Fehlfunktion der Maskulinisierung zu verursachen, aber zusammen könnten sie die Fähigkeit des Fötalen Gehirns zur Maskulinisierung verringern. Diese Gene werden von Eltern zu Kind weitergegeben, was die beobachtete Tendenz bestärkt das Transgender Eltern Transkinder haben.
Geschlecht ist biologisch
Leider hat die westliche Gesellschaft ein tieferes Verständnis des Genders aktiv verhindert. Viele alte Zivilisationen haben es verstanden, aber der Kolonialismus hat viele von der Landkarte getilgt. Vor 100 Jahren studierten Wissenschaftler in Deutschland aktiv Transgender-Medizin und machten außergewöhnliche Fortschritte, bis die Nazis 1933 alles verbrannten. Konservativer, faschistischer und kommunistischer Druck in der heutigen Zeit haben Fortschritte der Transgender-Gesundheitsversorgungsmöglichkeiten aktiv behindert.
Dennoch geht die Forschung weiter und alle paar Jahre lernen wir ein bisschen mehr.
Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass es sich nicht um einen psychischen Zustand handelt, nicht um ein Trauma oder einen äußeren Einfluss, nichts kann eine Person zu einem Transgender machen. Es passiert im Mutterleib und ist nicht etwas, für das sich eine Person entscheiden kann, genauso wenig wie sie ihre Hautfarbe oder ihre Augenfarbe wählen konnte. Es hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun, es hat nichts mit Kink oder Fetischen zu tun und es hat nichts mit Erziehung oder mit sozialen Einflüssen ihrer Eltern oder Gleichaltrigen zu tun. Transgender-Kinder sind in ihrer Identität genauso echt wie Cis-Gender-Kinder.