Wie Hormone funktionieren

Im Abschnitt „Was ist die Ursache des Geschlechtskonflikts?“ haben wir erfahren, das jeder Mensch in seiner DNA sowohl die genetischen Baupläne und Anweisungen für den männlichen, als auch für den weiblichen Körper hat. Welche dieser Anweisungen umgesetzt werden, hängt davon ab, welche Hormone Ihre Gonaden produzieren. Diese Differenzierung erfolgt ausschließlich danach, ob Sie zufällig ein SRY-Gen haben. Ist das SRY-Gen vorhanden löst das in der 6.-8. Schwangerschaftswoche eine Kettenreaktion aus, welche Hoden statt Eierstöcke ausbildet. Ab diesem Zeitpunkt ist jedes Geschlechtsmerkmal des menschlichen Körpers (primär und sekundär) das Ergebnis der Hormone, die diese Gonaden produzieren.

Wenn die Gonaden Östrogene (hauptsächlich Östradiol) produzieren, bilden sich die Genitalien zu Vulva, Vagina und Gebärmutter. Wenn sie Androgene (hauptsächlich Testosteron) produzieren, formen sich die Genitalien zu einem Penis und Hodensack, wodurch die Paraurethraldrüse nach unten verschoben und zu einer Prostata vergrößert wird. Hier endet die Differenzierung bis zum Einsetzen der Pubertät, 9 bis 10 Jahre später - und wir alle wissen, was die Pubertät bewirkt.

Warum funktioniert die Differenzierung so? Warum differenzieren die Zellen? Als Vorwissen müssen wir über die Funktion von Rezeptoren aufklären.

Hormonrezeptoren

Vereinfacht ausgedrückt verhält sich ein Rezeptor wie die Schlüsselzündung eines Autos (haben Neuwagen noch Zündungen mit Schlüssel?). Jede Zelle im Körper hat eine Reihe von Schlössern, die verschiedene Funktionen innerhalb dieser Zelle aktivieren. Sie sind wie Schalter, die der Zelle signalisieren, dass sie einen anderen Teil ihrer genetischen Sequenz aktivieren soll. Jeder Rezeptor kann nur bestimmte chemische Verbindungen akzeptieren, ähnlich wie ein Schloss in das nur bestimmte Schlüssel passen. Verschiedene Chemikalien haben unterschiedliche Fähigkeiten beim Drehen des Schlüssels. Einige können das Auto vollständig starten, während andere nur das Infotainment einschalten.

Die Fähigkeit einer Chemikalie, in einen Rezeptor zu passen, wird als Relationale Bindungsaffinität bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich eine Chemikalie mit dem Rezeptor verbindet, wird in Prozent angegeben. Umso höher der Prozentsatz ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Chemikalie und nicht eine andere Chemikalie mit dem Rezeptor verbindet. Wenn also beispielsweise Hormon B nur 10 % der Zeit im Verhältnis zu Hormon A bindet, spricht man von einer Bindungsaffinität von 10 %. Ähnlich wird die Fähigkeit einer Chemikalie, den Schlüssel zu drehen, als Transaktivierungsfähigkeit bezeichnet. Verbindungen, die in einen Rezeptor passen, aber nichts bewirken, werden als Antagonisten bezeichnet. Sie blockieren nur das Schloss, lösen aber nichts aus. Verbindungen, die den Schlüssel umdrehen können, werden als Agonisten bezeichnet. Wenn die Chemikalie den Schlüssel nur ein kleines bisschen drehen kann, wird es Partial Agonist genannt.

Sie können sich Antagonisten wie Türsteher vor einem Club vorstellen. Sie stehen in der Tür und sorgen dafür, dass niemand anderes durchkommt. Sie selbst betreten den Club aber nicht. Die meisten Antagonisten werden als Blocker bezeichnet. Dies unterscheidet sich von einem Inhibitor, einer Verbindung, die eine chemische Reaktion verlangsamt, oder einem Aktivator, der eine Reaktion beschleunigt. In Rezeptoren verringert ein Inhibitor die Fähigkeit des Rezeptors, wodurch er weniger effektiv auf Dinge reagiert, die an den Rezeptor binden, und ein Aktivator erhöht die Fähigkeit des Rezeptors, wodurch er stärker reagiert, wie ein Booster.

In einigen Fällen kann ein Hormon als Inhibitor (Bremser) oder Aktivator (Beschleuniger) für ein anderes Hormon fungieren, indem es das Verhalten in einer Zelle verlangsamt oder verstärkt. Zum Beispiel erhöht Progesteron die Zellaktivität, wodurch die Zellen effektiver auf Östrogene und Androgene reagieren, und Testosteron erhöht die Transaktionsfähigkeit von Dopaminrezeptoren, sodass für die gleiche Wirkung weniger Dopamin im Gehirn benötigt wird.

Was sind Hormone

Es gibt vier Hauptkategorien von Hormonen:

  • Aminosäuren wie zum Beispiel:
    • Melatonin: steuert den Schlaf
    • Thyroxin: reguliert den Stoffwechsel
  • Peptide, wie zum Beispiel Oxytocin und Insulin welche Ansammlungen von Aminosäuren sind
  • Eicosanoide die aus Lipiden und Fettsäuren gebildet werden und überwiegend das Immunsystem beeinflussen
  • Steroide sind Signalmoleküle, welche für die Kommunikation von Organen untereinander beeinflussen

Für die Transition ist uns diese letzte Kategorie am wichtigsten, da alle Sexualhormone Steroide sind. Diese fallen in sieben Hauptkategorien:

Aus dieser Gruppe sind uns die ersten drei am wichtigsten, wenn es um die Hormonersatztherapie geht. Hinweis: Alle Menschen, unabhängig vom Phänotyp, haben einige dieser Hormone in ihrem Körper. Die anteiligen Verhältnisse beeinflussen die Körperform.

Androgene

Es gibt fast ein Dutzend verschiedene Androgene. Die wichtigsten für uns sind allerdings Testosteron und Dihydrotestosteron.

Testosteron ist das primäre maskulinisierende Hormon für den menschlichen Körper und wird in den Nebennieren, den Hoden und in den Eierstöcken produziert (wo es sofort in Östron und Östradiol umgewandelt wird). Es veranlasst den Körper, eine höhere Muskelmasse anzulegen, sowie das Wachstum von Knochenzellen anzuregen. In höheren Konzentrationen (zum Beispiel nach der männlichen Pubertät) hat es eine größere Muskelmasse und eine dickere Skelettstruktur zur Folge. Dies bedeutet auch, dass Testosteron für die Knochengesundheit von entscheidender Bedeutung ist, da es die Kalziumverteilung innerhalb der Skelettstruktur beeinflusst. Daher kann ein starker Testosteronmangel zu Osteoperose und brüchigen Knochen führen. Testosteron spielt auch eine wichtige Rolle für den Sexualtrieb und die Libido und fördert in der Großhirnrinde das Paarungsverhalten.

Dihydrotestosteron (DHT), das in Prostata, Haut und Leber aus Testosteron umgewandelt wird, spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der männlichen Genitalien während der Pubertät, indem es zufällige Erektionen und das Wachstum von Gesichts- und Körperbehaarung auslöst. Paradoxerweise verursacht DHT auch männlichen Haarausfall, da es die Blutzirkulation zu den Follikeln oben auf der Kopfhaut erstickt. DHT bindet zehnmal stärker an Androgen Rezeptoren als Testosteron, weshalb es für die transfeminine HRT entscheidend ist, es zu eliminieren.

Östrogene

Es gibt vier Östrogene: Östradiol, Östron, Östriol und Östetrol. Die beiden letztgenannten werden nur während der Schwangerschaft produziert und sind wichtig für die Gesundheit des Fötus, haben jedoch keinen Einfluss auf die Transition.

Östradiol ist das feminisierende Hormon, da es das primäre Signalhormon für das Wachstum in den Brustdrüsen (Brustgewebe) ist und es Fettablagerungen in den Oberschenkeln, Hüften, Po, Brust und Armen fördert, während es Fettablagerungen im Bauch entgegenwirkt, wodurch eine kurvigere Figur entsteht. Estradiol fördert auch eine erhöhte Kollagenproduktion, was zu einer weicheren Haut und flexibleren Sehnen und Bändern führt.

Die Rolle von Östron im Körper war in der medizinischen Forschung ein Rätsel, da es eine deutlich geringere Bindungsaffinität im Vergleich zu Östradiol (0,6%) und eine sehr geringe Transaktivierungsfähigkeit (4 %) aufweist. Das Hormon scheint nichts zu tun; es sitzt einfach im Blutkreislauf. Es hat jedoch die einzigartige Fähigkeit, über eine Enzymgruppe namens 17β-HSD sich in und aus Östradiol wandeln zu können, wodurch es ideal geeignet ist, wie eine Östrogenbatterie im Körper zu funktionieren.

Neue Forschungen deuten darauf hin, dass der Körper den Gesamt-Östradiolspiegel regulieren kann, indem er HSD17B1 freisetzt, um Östradiol in Östron umzuwandeln, und HSD17B2 freisetzt, um es wieder zurückzuwandeln. Die Studie ist jedoch sehr jung und weitere Forschung dazu ist nötig. Beide Enzyme werden im Brustgewebe produziert und können bei Personen die keine Eierstöcke haben, wie zum Beispiel Transfrauen, Zyklus-ähnliche Symptome auslösen.

Zu Ihrer Information

Warum bekommen AFAB-Trans-Personen keinen Östrogenblocker neben dem Testosteron verschrieben?

Es gibt zwei verschiedene Quellen für Östrogene im weiblichen Fortpflanzungssystem. Eierstöcke enthalten Tausende von Follikeln, Zellstrukturen, die Eier produzieren. Die Hirnanhangdrüse produziert das luteinisierende Hormon (LH) und das follikelstimulierende Hormon (FSH), dass die Follikel dazu anregen, sich zu Lutealzellen zu wandeln. Thekazellen innerhalb des Follikels produzieren Testosteron und Granulosazellen produzieren das Enzym Aromatase, das dieses Testosteron in Östradiol umwandelt. Dies ist die erste Östrogenquelle, aber nicht die größte.

Hinweis: Das ist übrigens der Grund warum in den Eierstöcken beim Polyzystischen Ovar Syndrom (PCOS) Testosteron produziert wird; die Eierstockzysten stören die Aromataseproduktion, sodass das Testosteron nicht umgewandelt wird.

Zwei Wochen nach Beginn des Periodenzyklus weist der Hypothalamus die Hypophyse an, einen drei- bis viermal stärkeren Anstieg von LH und FSH zu produzieren als zu Beginn des Zyklus. Dieser Anstieg führt dazu, dass die Follikel anschwellen, bis einer platzt und ein Ei freisetzt. An diesem Punkt werden die Reste des Follikels zu einer Struktur, die als Corpus luteum bekannt ist. Dieser Gelbkörper beginnt dann, Progesteron und deutlich mehr Östrogene zu produzieren, um die Gebärmutter auf eine befruchtete Eizelle vorzubereiten. Dies ist die zweite Quelle.

Die Einnahme von Testosteron bewirkt, dass der Hypothalamus die Gene deaktiviert, die die LH- und FSH-Spitze auslösen, sodass die Follikel nie reif werden. Damit findet kein Eisprung statt und der Gelbkörper wird nie gebildet. Das bewirkt das Versiegen der bedeutendsten Östrogenquelle.

Progesteron

Zahlreiche Rollen im Körper hat das primäre Gestagen Progesteron welches sich als wichtiger Bestandteil der transfemininen HRT erwiesen hat.

Eine der größten Rollen, die der Gestagenrezeptor spielt, ist die Regulierung der Gonadenfunktion (Eierstöcke und Hoden). Der Hypothalamus ist die Steuerzentrale im Gehirn, das die Produktion von GnRH reguliert. GnRH steuert die Produktion von Geschlechtshormonen in den Gonaden. Der Hypothalamus ist mit Gestagen-Rezeptoren übersät und reagiert stark auf ihre Aktivierung, indem er die Produktion von GnRH reguliert, was dann die Produktion des luteinisierenden Hormons (LH) durch die Hypophyse reduziert.

LH gibt den Eierstöcken und Hoden die Anweisung, Östrogen bzw. Androgene zu produzieren. LH und sein Geschwisterhormon FSH spielen beide eine zentrale Rolle beim Eisprung, einer weiteren großen Östrogenquelle, den Eierstöcken. Daher werden häufig synthetische Gestagene, Chemikalien, die in die Gestagenrezeptoren passen, in Verhütungsmittel aufgenommen, um den Eisprung zu verhindern. In AMABs sind Gestagene ein nützliches Werkzeug, um die Testosteronproduktion zu blockieren.

Ein anderer Zelltyp, der voller Gestagenrezeptoren ist, ist das Brustgewebe. Progesteron spielt eine wichtige Rolle beim Wachstum und der Reifung der Milchgänge im Brustgewebe. Während die Wirkung von Progesteron auf die Brustentwicklung kaum formal untersucht wurde, wurde anekdotisch in der Transfemininen-Community festgestellt, dass es signifikante Verbesserungen der Brustfülle bewirkt. Es wurde auch gezeigt, dass Progesteron die Durchblutung des Brustgewebes erhöht und Fettablagerungen in den Brüsten fördert; beides erhöht die Brustgröße.

Darüber hinaus fördert Progesteron einen besseren Schlaf, verbessert die kardiovaskuläre Gesundheit, erhöht die Ketogenese (Reduzierung von Triglyceriden), regt den Stoffwechsel an und reduziert nachweislich das Brustkrebsrisiko.

Mineralkortikoide

Mineralkortikoide spielen bei der Transition keine Rolle, sind aber wegen eines wichtigen Hormons erwähnenswert: Aldosteron.

Aldosteron weist die Nieren an, kein Wasser mehr aus dem Blutkreislauf zu ziehen. Es wird von den Nebennieren produziert, um die Flüssigkeitszufuhr des Körpers zu regulieren. Warum ist das wichtig?

Spironolacton, das sehr häufig in der Transfemininen HRT verwendet wird, ist ein extrem starker Aldosteron-Antagonist. Spiro bindet sich stärker als Aldosteron an Mineralcorticoid-Rezeptoren, aktiviert den Rezeptor jedoch nicht. Es verstopft ihn nur und verhindert, dass die Nieren das Signal erhalten, die Wasserentnahme einzustellen. Deshalb müssen Personen welche Spiro nehmen so häufig auf die Toilette.