Gender Euphoria
Eu·pho·rie - Substantiv, f
Ein Gefühl oder Zustand der intensiven Aufregung und des Glücks. Ein Hochgefühl oder Freude.
Bevor ich über Dysphorie sprechen kann, muss ich über Euphorie sprechen. Geschlechtsspezifische Euphorie ist selbst ein Zeichen für geschlechtsspezifische Dysphorie. Sie fragen sich vielleicht: “Wie kann denn Glück Traurigkeit sein?” Die Antwort darauf ist einfach.
Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Person, die in einer Höhle geboren wurde und ihr ganzes Leben unter der Erde verbracht hat. Ihre einzige Beleuchtungsquelle sind Kerzen und Öllampen. Sie waren noch nie auf der Oberfläche und Sie wissen nicht mal dass das da oben existiert. Eines Tages stürzt dann ein Stollen ein und enthüllt einen kleinen Durchgang zur Oberfläche. Sonnenlicht strömt durch die Öffnung. Zuerst ist es blendend und Sie rennen angsterfüllt davon. Später kehren Sie zur Öffnung zurück und wenn sich Ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, dann schauen Sie durch das Loch und sehen eine helle Welt mit brillanten Farben. Sie wussten nicht einmal das so etwas existiert.
Diese Welt ist riesig, beängstigend und voller Unbekanntem, also kriechen Sie sicherheitshalber wieder in die Höhle zurück. Dennoch, jedes Mal, wenn Sie an dem Loch vorbeikommen, sehen Sie diese Welt mit dem ganzen Licht und all den Farben. Allmählich spähen Sie immer häufiger durch das Loch und Sie trauen sich auch immer weiter durch die Öffnung. Sie finden Gründe und Ausreden diese helle Welt immer öfter zu besuchen.
Irgendwann realisieren Sie, dass Sie nicht mehr in das Loch zurückkehren wollen. Aber Sie müssen. Sie müssen zurück, weil dort ihre Familie und Freunde sind. Aber dieser Ort im Licht ist so viel besser, Sie wollen dableiben. Zurück in das Loch zu gehen, fühlt sich falsch an, es tut weh, so sehr im Dunkeln zu sein.
Das ist Gender Euphorie. Es sind kurze Lichtblitze, die zunächst zu hell sind, um sie zu handhaben; zu verwirrend, um sie zu verstehen, aber mit der Zeit gewöhnt man sich immer mehr an die Helligkeit und Sie erkennen, dass Sie ans Licht gehören. Und mit diesem Prozess wird das vorherig normale, die Dunkelheit, zur Dysphorie.
Viele Trans Personen haben keine Ahnung, wie viel Schmerz sie haben, bis sie ein wenig Erleichterung finden. Cosplay, Bühnenschauspiel, Drag, Rollenspiele, Videospiele; kleine Streifzüge in das andere Geschlecht. Sie finden, dass es sich nur ein bisschen angenehmer anfühlt. Sie werden sich Ausreden ausdenken, um die Handlungen zu rechtfertigen („Wenn ich schon beim Spielen den Hintern meines Charakters ansehen muss, dann sollte es wenigstens ein attraktiver Hintern sein… deswegen Spiele ich nur weibliche Charaktere“), Sie werden versuchen, sich selbst davon zu überzeugen, dass alles nur Spaß oder künstlerischer Ausdruck ist. Sie könnten sich sagen, dass die Freude, ein anderes Pronomen zu hören, nur daher rührt, weil es Neu ist. Aber bald suchen sie nach Gründen, um das öfter zu bekommen. Immer häufiger spielen sie Rollen eines anderen Geschlechts, bauen mehr Kostüme auf, kaufen mehr Kleidung und treten häufiger auf. Sie wollen das die ganze Zeit tun, einfach weil es sich besser anfühlt als ihr gewohntes Leben; und dann beginnt es weh zu tun „Sie“ zu sein. Schließlich wird das alte „ich“ zum Kostüm.
Dies ist der bedeutendste Grund, warum wir als Community sagen: “Sie brauchen keine Dysphorie, um Trans zu sein”. Schwarze Schrift auf einer schwarzen Leinwand ist, ohne sehr viel Licht oft nicht zu unterscheiden.
Alles, was eine Ursache für Dysphorie sein kann, hat eine gleiche und entgegengesetzte Euphorie. Beispiele:
- Mit dem richtigen Geschlecht angesprochen zu werden
- Mit Ihrem gewählten Namen angesprochen werden
- Die richtige geschlechtsspezifische Kleidung zu tragen
- Veränderungen in Ihrem Körper sehen und fühlen
- Sich selbst im Spiegel sehen (Entfernung der Depersonalisierung)
- Geselligkeit und Umgang mit anderen auf eine Weise, die den geschlechtsspezifischen Erwartungen entspricht
- Einen Haarschnitt auf männliche/weibliche/androgyne Weise bekommen
- Die Beine rasieren/Nicht die Beine rasieren
- An etwas teil zu haben, an dem Sie aufgrund Ihres zugewiesenen Geschlechts nicht teilhaben könnten (z.B. Brautparty oder Junggesellenabschiede)
- Sich begehrt und sexy fühlen
- Sex auf eine Weise zu haben, die Ihrem Geschlecht und Ihrer Sexualität entspricht.
Selbst wenn Sie nur als „Sie selbst“ in der Welt sind und als „Sie selbst“ gesehen werden, kann dies massive Euphorie auslösen.
Was ist NICHT Gender Euphorie? Ein sexuelles Hoch, etwas Antörnendes oder ein Fetisch. Manchmal kann Gender Euphorie eine sexuelle Reaktion auslösen, und es gibt viele Faktoren, die dazu führen (wie zum Beispiel: Sich im eigenen Körper wohlzufühlen kann aufregend sein), aber Gender Euphorie ist keine Quelle sexueller Erregung. Trans-Personen „macht es nicht an“, wenn sie sich wie ihr wahres Selbst präsentieren oder verhalten.
Viele Menschen, die noch nicht erkannt haben, dass sie Transgender sind, greifen möglicherweise auf Fetische, Kink und Ticks zurück, um ihr Geschlecht auszudrücken und um ihre Dysphorie zu lindern. Sie könnten sogar einige dieser Handlungen durch die Transition hindurch beibehalten. Es ist keine Schande, wie sie sexuelle Erfüllung finden - das ist ihre eigene Sache. Diese Dinge stehen jedoch neben ihrem Gender. Das Gefühl für den Sinn Ihres Gender bleibt bestehen und verschwindet nicht, wenn sie in ihr alltägliches Leben zurückkehren.